Europaschule Köln

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Kurzgeschichten-Wettbewerb des 11. Jahrgangs

Nachfolgend präsentieren wir die drei besten Geschichten des Wettbewerbs. Lesenswert!

Die Deutschlehrer der Jahrgangstufe 11 der Europaschule hatten für ihre Schülerinnen und Schüler einen Kurzgeschichten-Wettbewerb ausgeschrieben. Unter dem Motto "Jetzt oder nie" konnten die Schülerinnen und Schüler ihrer Phantasie freien Lauf lassen. Bei einer Lesung auf dem Infofest am 28.11.2009  wurden die drei Gewinner einem interessierten Publikum in der Bibliothek unserer Schule bekannt gegeben. Dank der Unterstützung durch unseren Förderverein konnten sich die Gewinner nicht nur über Applaus und Anerkennung, sondern auch über einen Buchgutschein freuen.

Und hier sind sie nun: Die drei „Sieger-Geschichten“!



1. Platz: Daniel Diedrich

Jetzt oder nie

Das Warten bringt mich um. Mein Herz schlägt rasend schnell, meine Nerven liegen blank. Meinem Traum zum Ergreifen nah. Meine Schwester beendet ihren Auftritt mit Bravour. Sie bedankt sich und der Beifall des Publikums verstummt. Sie bekommt noch ihr Lob von der Jury. Das Publikum tobt. Sie verlässt die Bühne und kommt mit einem Lächeln auf mich zu.
Ihre braunen Augen glänzen vor Freude und ihre blonden lockigen Haare passen perfekt zu ihrem silbernen Kleid. "Melina", sagt sie und schaut mich glücklich an. Ich schaue in ihre braunen Augen und warte auf das, was sie mir sagen will. "Melina", fängt sie wieder an, "ich will, dass du eins weißt, egal wer heute Abend den Platz in der Band bekommt, wir bleiben immer noch ein Team, denn wir sind Schwestern!" Ich habe Tränen in den Augen, warum muss ich sie als Konkurrentin sehen? Warum können wir nicht beide in die Band? "Und nun begrüßen sie mit einem Riesenapplaus, hier ist Melina Stranat", ruft der Moderator und reißt mich aus meinen Gedanken.
Ich gehe die Treppen zur Bühne hoch und sehe eine tobende Menge. Alle jubeln und rufen meinen Namen. Ich muss kämpfen, ich will gewinnen, ich will in die Band, jetzt oder nie. Die Bigband fängt an meinen Song zu spielen. Ich singe und singe, ich singe aus tiefstem Herzen. Nach gefühlten drei Sekunden ist der Auftritt vorbei. Ich bekomme lautstarken Beifall. Ich verneige mich und bedanke mich bei den Zuschauern.
Ich bekomme mein Lob von der Jury. Nach allen drei Bewertungen der Jurymitglieder bekomme ich wieder Applaus. Ich will gerade von der Bühne gehen und meiner Schwester freudig in die Arme springen, doch der Moderator hält mich an und sagt: "Melina, bleib bitte noch hier und Alisa, komm bitte auch zu uns hinauf!" Sie kommt zu uns hoch, umarmt mich und stellt sich neben mich. Ich merke, wie ich langsam nervös werde. "Jetzt ist es soweit. Jetzt wird entschieden, welche der beiden Schwestern den letzten Platz in der Band bekommt.", der Moderator hebt bei jedem Satz die Stimme, damit es spannender klingt. Bald ist es vorbei, denke ich und schaue meine Schwester an. Sie ergreift meinen  Blick und drückt mich leicht und lächelt dabei. Ich sehe wie sie immer nervöser wird und schwerer atmet. Der Moderator fängt wieder an zu reden: "Und der letzte Platz in der Band geht an...." Der komplette Saal verstummt. Ganz leise kann man den Regen von draußen hören. "Der letzte Platz....", fängt er wieder an. Er legt eine weitere stille Minute ein. "Der letzte Platz wird vergeben, ...nach einer kleinen Werbeunterbrechung."



2. Platz: Julian Urlaub

Sprache für Unbekanntes

9 Stunden Schule und jetzt auch noch Hausaufgaben? Und was ist mit der Klausur?   
Trotz alledem fange ich an. Es dauert! Im selben Moment fällt mir ein, dass ich noch Portugiesisch-Aufgaben aufhabe und eine Geburtstagsmail an meinen Vater schreiben muss.
Ich besuche einen Portugiesischkurs an der VHS, natürlich nur teilweise freiwillig. Um die Sprache meiner Verwandtschaft zu erlernen. Auch wenn ich als Kind die Sprache zumindest leicht beherrschte, durch Patentante und Bekanntschaft die Sprache in meinem Kopf verankert ist und dadurch mir die Worte nur so von der Zunge gleiten, muss ich Vokabeln lernen und Grammatik büffeln. Zusätzlich zum normalen Schulalltag ist das nicht so einfach und erst recht nicht spaßig, wie es sich meine Mutter vielleicht vorstellt. Die Leute im Kurs sind ja auch alle ganz nett. Aber neben Schule, Basketball, Football und Freunden dann auch noch einen Portugiesischkurs unterzubringen ist schon stressig!
Dass ich die Sprache sprechen können möchte, steht außer Frage, aber was ich damit dann mal anfange, das ist wieder etwas ganz anderes. Ich habe nie behauptet, dass ich diese Sprache sprechen können will, um mich mit meinen Verwandten unterhalten zu können. Klar wäre das ein positiver Nebeneffekt, im Vordergrund aber stehen für mich der Kontakt zu Gleichgesinnten (Brasilianern, die in Deutschland leben) und eine Reise durch das Land selbst.
Ich weiß nicht, ob ich diesen Kurs wirklich angefangen habe, um mich mit Verwandten unterhalten zu können, das wäre, glaube ich, eine ganz andere Motivation. Meine Mutter und meine Patentante waren sich da sicher, das war und ist klar! Aber was ich weiß ist, dass es meine letzte Chance ist, irgendwas für Portugiesisch zu tun. Jetzt? Oder nie? Später eine „Fremdsprache“ anzufangen ist, glaube ich, eine sehr viel größere Belastung und Anforderung als jetzt.
Ich sitze vor meinem Portugiesisch-Arbeitsbuch und soll mich in der folgenden Übung meinem Gesprächpartner vorstellen. Name, Hobbys und Familie, in Brasilien der übliche Smalltalk. Name und Hobbys sind kein Problem, aber bei Familie war ich mir schon immer unsicher?!?
Ich hatte 13 Jahre lang kein Kontakt zu meinem Vater, zum ersten und letzten Mal gesehen habe ich ihn, als ich 2 Jahre alt war; keinerlei Erinnerungen mehr. Kenne ihn nur von Fotos und Erzählungen meiner Mutter. Wir schreiben uns lediglich Geburtstags- und Weihnachtsmails, die von meiner Mutter übersetzt werden. Er ist nicht der Vater, wie er es in der typischen Vorzeigefamilie oder sogar in einer Patchworkfamilie ist, ich lebe allein mit meiner Mutter. Er führt sein Leben und ich meins. Es ist nicht so, dass ich das bedaure oder mir etwas anderes wünschen würde, ich kenne es nicht anders. Also finde ich es gut, wie es ist!
Vielleicht ist es Angst, die mir die Neugierde auf meine Familie und besonders auf meinen Vater nimmt? Ich würde viele Sachen erfahren, viele erfreuliche und schöne, aber auch einige, die ich vielleicht nicht wissen will. Es wird einen Grund geben, warum sich meine Eltern vor über 16 Jahren getrennt haben und warum mein Vater sich 13 Jahre nicht gemeldet hat. Ich würde es erfahren, das steht außer Frage.
Ich bin fertig mit der Lektion, muss los, ohne für meine Klausur gelernt zu haben oder meinem Vater geschrieben zu haben. Vielleicht komme ich diesmal sogar pünktlich zum Portugiesischunterricht.


3. Platz: Jessica Manns

Ãœberraschung auf Umwegen

Am nächsten Morgen weckte ihre Mutter sie zum Frühstück. Es waren Ferien und sie konnte länger als gewohnt schlafen. Aus diesem Traum, den sie letzte Nacht gehabt hatte, wollte sie niemals erwachen. Doch dann kam der gefürchtete Weckruf und alles war vorbei. Sie hatte wie jede Nacht von den Abenteuern mit ihrem großen Schwarm geträumt. Dieses Mal war es besonders schön gewesen. Jedoch würde sie niemals in Wirklichkeit etwas mit ihm zu tun haben. Er war der Schwarm aller Mädchen. Der beliebteste der Schule. Und sie? Sie war ein Mauerblümchen, als Streber bekannt. Sie befürchtete, dass er sie niemals anschauen, geschweige denn mit ihr reden würde. Sie stand auf und ging in die Küche. Ihre Eltern erwarteten sie bereits. Nach einem oberflächlichen Gespräch verschwand sie wieder in ihrem Zimmer und schaltete ihren Computer ein. Sie schrieb mit ihren virtuellen Freunden, denn in der Realität hatte sie niemanden, mit dem sie reden konnte. Sie schrieb sich durch die Chatrooms als würde sie Millionen von Menschen kennen, dabei kannte sie niemand. Sie war allein. Plötzlich schrieb sie dieser Unbekannte an. Sie schrieben stundenlang über gemeinsame Interessen und  spannende Ereignisse. Sie verstanden sich gut. Als sie fragte woher er denn käme, antwortete er zögerlich. Sie bemerkte, dass mit ihm etwas nicht stimmte. „Was ist los?“, fragte sie ihn. Er gab keine Antwort. Eine Weile schrieben die beiden nichts mehr. Schlagartig brach es aus ihm heraus. Er ist so beliebt in der Schule und alle Mädchen würden ihn begehren, doch er wollte nur diese Eine. Die, die sich nicht traute ihn anzusprechen und die, die nicht nur Jungs in ihrem Kopf hatte, sondern auch noch auf andere Sachen als nur Aussehen Wert legt. Es traf sie wie der Blitz. Er meinte sie. Sie war dieses eine Mädchen. Wie konnte er sich nur in sie verlieben? Sie konnte das nicht verstehen. Mit einer billigen Aussage wimmelte sie ihn ab, versprach aber später am Abend wieder zu kommen und weiter mit ihm zu schreiben. Fassungslos saß sie da und dachte nach. Was sollte sie nur tun? Sollte sie ihm sagen, dass er genau mit diesem Mädchen gerade schreibt? Oder sollte sie sich verstecken? Sie dachte sich „jetzt oder nie“ und schrieb ihn wieder an. Er hatte schon sehnsüchtig auf sie gewartet. Den Vorschlag, dass sie ihre Bilder austauschen könnten, nahmen sie beide an. Schon wieder herrschte Stille zwischen den Beiden. Es war nicht der, den sie sich erhofft hatte auf dem Bild zu erkennen. Denn er wohnte nicht in ihrer Stadt. Trotzdem gefiel er ihr sehr. Sie schien ihm aber auch zu gefallen denn er wollte sie näher kennen lernen. Er erzählte ihr, dass er in einem Nachbarort wohnen würde und sie verabredeten sich in einem Cafe. Als sie sich am nächsten Tag trafen, erschrak sie. Das war nicht der Junge gestern auf dem Bild, sondern der Schwarm aus ihrer Schule. Er winkte sie zu sich heran. „Na, überrascht mich hier zu sehen? Setz dich.“, sagte er und deutete auf den Platz neben ihm. Sie nickte und setzte sich zu ihm.